Essay, Thema, Möge die Macht weiblich sein, Frauen führen anders als Männer, Frauen in Führung

MÖGE DIE MACHT WEIBLICH SEIN

Ein Artikel von Felix Maria Arnet
Kolumne: FiF in der REFLEXION | 2020

Frauen auf dem Vormarsch: Die Emanzipation hat sich in weiten Teilen durchgesetzt, die beruflichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt stehen für Frauen besser als jäh zu vor. Schon im Jahr 2030 könnte jede zweite Führungskraft in Europa weiblich sein – wenn man einigen Prognosen aus der Zukunftsforschung Glauben schenkt. Elke Holst, Forschungs-direktorin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin, ist in dieser Frage zwar weniger euphorisch, aber auch sie ist überzeugt.

Der Megatrend Female Shift“ ist indes kaum zu übersehen

In ein paar wenigen Jahrzehnten ist, gemessen an Jahrhunderte langer Stagnation zuvor, die Emanzipation deutlich vorangeschritten, der Einfluss von Frauen in Wirtschaft, Gesellschaft und Religion nimmt immer mehr zu. Der heiß diskutierte ‚Gender Gap‘ hat sich zunehmend verringert, was karriererelevante Bereiche wie Zugang zur Bildung, politische Beteiligung und wirtschaftliche Gleichstellung betrifft. Auch in Entwicklungsländern hat mittlerweile ein Großteil der Frauen eine hohe Schulbildung und ist berufstätig. Stichwort Bildung: Auf diesem Level sind Frauen weltweit die klaren Gewinner. Seit 2006 verlassen jährlich mehr Frauen als Männer die Hochschulen mit einem Abschluss, der Anteil der Studienab-solventinnen stieg von 1992 bis 2009 von 39 auf 51 Prozent. Aber: im selben Zeitraum vergrößerte sich der Anteil von Frauen in Führungspositionen nur von 26 auf 30 Prozent. Je mehr hoch qualifizierte junge Frauen mit beruflichen Ambitionen auf den Arbeitsmarkt drängen, desto größer wird auch der Druck auf die klassischen Unternehmenshierarchien. Dennoch sind die Karrierechancen in Sachen Führungspositionen, Verdienst- und Karrierelevel immer noch sehr ungleich verteilt.

„Man muss also vorsichtig sein, den Aufstieg der Frauen nicht bloß als modischen Megatrend hinzunehmen, der sich einfach verselbstständigt. Die Chancengleichheit muss noch immer besonders gefördert werden, da sich die Gleichberechtigung der Geschlechter zwar stetig, aber auch sehr langsam entwickelt.“

Das Ergebnis des ‚Global Gender Gap Reports‘, der seit 2006 jährlich angefertigt wird, fällt jedenfalls ernüchternd aus: Die faktische Gleichberechtigung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz wird erst frühestens in 80 Jahren erreicht werden – wenn sie im bisherigen Tempo weiterläuft. Gemessen an der Chancen-gleichheit in Politik, Wirtschaft, Bildung und Gesundheit rangiert Deutschland lediglich auf Platz 12 (Stand 2014), abgeschlagen noch von Entwicklungsländern wie Nicaragua und Ruanda.

Gleichheit zwischen den Geschlechtern

Damit herrscht hierzulande lediglich im Bildungsniveau und im Gesundheitssektor Gleichheit zwischen den Geschlechtern. In Sachen wirtschaftliche Teilhabe und Möglichkeiten sowie politische Einflussnahme sieht es jedoch, trotz einer Bundeskanzlerin und vier Ministerpräsidentinnen, düster aus. Eine ähnliche Asymmetrie findet sich in den Verdienstmöglichkeiten: Der Einkommens-unterschied zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt beträgt derzeit  noch satte 23 Prozent. Woran aber liegt es, dass auch in liberalen und fortschrittlichen Industriegesellschaften die Top-Positionen noch immer weitgehend Männern vorbehalten sind? Dass sich die Männerwelt verzweifelt an ihre schwindende Macht klammert wie ein Ertrinkender an eine Holzplanke, wäre eine etwas zu platte Erklärung – und vor allem versperrt sie den Blick auf die Realität. Denn auch wenn ein Fünkchen Wahrheit darin liegt, dass sich viele Männer noch nicht ganz eingefunden haben in einer Welt, deren traditionelle Rollenverteilung sich gerade rasant auflöst, so spielen doch mannigfaltige Faktoren eine Rolle, die diesen Prozess ausbremsen – und nicht zuletzt sind es auch die Frauen selbst, die sich auf ihrem Weg nach oben ins Straucheln bringen.

Felix Maria Arnet, 52, Unternehmensberater, Autor von fünf Büchern und zahlreichen Fachaufsätzen. Er befasst sich mit den Themen Leadership, Organisationsentwicklung, New Work, Diversität und Lifestyle u.s.w. Er lebt in Wiesbaden und ist Vater eines erwachsenen Sohnes.

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